„MS Carmen“ – Das Musik-Theater-Bauprojekt

 

 

 

 

November 2011

Hochschule Darmstadt feat. KNASTTHEATER an Bord der MS Carmen // FFM

FH Darmstadt feat. Knasttheater
Foto © Lilia Möllmann

Seit Juli diesen Jahres ist der Fachbereich Architektur / Innenarchitektur der Hochschule Darmstadt an dem Projekt „MS Carmen“ beteiligt. Gemeinsam mit den Studenten der Fachhochschule Frankfurt und den Gefangenen der JVA Frankfurt/M. IV wurde ein schwimmendes Theater entworfen und gebaut – mit Platz für ca. 50 Schauspieler und für ca. 150 Zuschauer.
In den engen Räumlichkeiten und mit einem sehr geringen Budget eine große Herausforderung für die Studierenden, die sich um die Organisation, die Planung und Realisierung kümmerten.
Der vorgefundene Schubleichter hatte ein Dach aus hellgrauen Trapezblechen, kombiniert mit formalen Unterschieden wie Sattel- und Flachdach, somit also den Charme einer gewöhnlichen Industriehalle. Dies entsprach nicht den Vorstellungen aller Beteiligten für dieses außerordentliche Kulturprojekt.
Es musste ein sehr leichtes Material gefunden werden, welches als Recyclingmaterial keine Kosten verursacht, eine einfache Verarbeitung garantiert und eine Eigenfarbigkeit, beziehungsweise eine fertige Oberfläche besitzt. Da die Abmessungen des umzubauenden Schubleichters ca. 30 m x 8 m betragen und das Ergebnis ein Verband aus drei Schiffen dieser Dimension sein würde, kam außerdem nur eine Vorfertigung in Frage, die von den Studierenden selbst bewältigt werden konnte und in einem geringen Zeitfenster von zehn Tagen montiert wurde.
Nach eingehenden Materialrecherchen fiel die Entscheidung auf Planenreste und mit dem Kontakt zu Günter Ganzevoort wurde ein kooperativer und spannender Partner gefunden, der ca. 2000m² Material unentgeltlich zur Verfügung stellte.
Die aus über 5000 Einzelstücken bestehende Fassade wurde nun nach den Ideen der Darmstädter Studierenden sechs Wochen lang zu einem großen Umhang verflochten, nach Farben sortiert und miteinander auf einem Netzt verknüpft.
Das Ergebnis ist eine pixelartige, alles überspannende leichte Hülle, welche je nach Perspektive und Tageslicht ihre Farbigkeit ändert,  im Wasser eine reizvolle Spiegelung entwickelt, im Wind mitschwingt und bei Nacht eine strahlende Leuchtkraft und Signalwirkung entwickelt.
Während der Vorbereitungs- und Bauzeit der Schubleichter entwickelten die Studierenden der Architektur gemeinsam mit den Gefangenen und den Studierenden der Sozialen Arbeit den Ausbau des Theaterschiffs. Die Darmstädter Studierenden planten den Innenausbau mit mehreren Ebenen, Sitzelementen und eine flexible Tribüne. Neben technisch – konstruktiven Dingen war  noch viel Platz für Kreativität im Innenraum – auch die  Bühnenbildgruppe wurde beraten und unterstützt.
Dieses in jeder Hinsicht spannende Projekt soll bewusst neue Wege gehen und setzt nicht nur durch die auffallende und Spannung versprechende Hülle Zeichen: Das Projekt fördert durch die enge, lösungsorientierte Zusammenarbeit von  Gefangenen und Studierenden die Entwicklung integrativer Prozesse und leistet einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Kommunikation.
Unser schönes Schuppentier
Foto © Lilia Möllmann

Studententeam // Vera / Sarah / Lilia / Marcel / Nicolas / Isabel
Leitende Lehrbeauftragte // LB Céline Scherer
Betreuende Professoren // Prof. Henning Baurmann / Prof. Kerstin Schultz
Herzlichen Dank an // Günter Ganzevoort

 

 

Oktober 2011

Drinnen und Draußen – ein außergewöhnliches Musik-Theater Projekt

Hochschule für Musik und Darstellende Kunst

Im Sommer 2011 entstand die Idee, Texte von inhaftierten Frauen der Frankfurter Justizvollzugsanstalt Preungesheim an Lehramtsstudierende der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main weiterzuleiten.

Den Dozenten Sabine Fischmann und Prof. Till Krabbe sowie den Studierenden, die im Rahmen ihres Studiums zwei Semester lang das Fach „Szenische Darstellung“ belegen, schien der Versuch einer musikalisch-szenischen Umsetzung solcher Texte für diesen Unterricht bestens geeignet, und die Idee wurde von allen Beteiligten begeistert aufgenommen.

Im Oktober 2011, zu Beginn des Wintersemesters, erhielten wir die ersten Texte der inhaftierten Frauen aus der Justizvollzugsanstalt. Die Studierenden und Dozenten waren berührt, als sie die Texte zum ersten Mal gemeinsam lasen und beeindruckt von der Offenheit und Direktheit der Texte.

Mit großem Respekt vor den Autorinnen und ihren in den Texten beschriebenen Gedanken und Gefühlen gingen die Studierenden ans Werk. Zu Beginn arbeiteten sie in zwei getrennten Gruppen zu ca. 10 Studierenden, die in regem Austausch mit- und untereinander ihre jeweiligen Probenergebnisse vorstellten.

Erstaunlich schnell entwickelten sich viele sehr gute Ideen zur Umsetzung der Vorlagen, wobei mal mehr die sprachlich-dialogisch-szenische Herangehensweise, mal mehr die musikalische zum Zuge kam. Bei der Letzteren verschränkten die Studierenden beispielsweise klassisches Liedmaterial von Franz Schubert und Wolfgang Amadeus Mozart melodramatisch mit einzelnen Texten, oder die Studierenden komponierten in ihrer Freizeit auch selbst aus dem Text-Material Songs, die als Solo oder auch chorisch konzipiert wurden. Diese zusätzliche Mehrarbeit, die die Studierenden sogar in ihrer Freizeit zu leisten bereit waren und die musikalisch gelungenen Ergebnisse gaben unserer Arbeit weitere Schubkraft, positive Impulse und Energie.

Später erhielten wir noch Texte von männlichen Inhaftierten, die in ganz ähnlicher Herangehensweise mal als Raps oder auch als Sprechfugen szenisch-musikalisch umgesetzt wurden.

In unserer Arbeit war uns ganz wichtig und auch hilfreich, nicht mehr über die inhaftierten Frauen und Männer und deren Geschichten und Biographien zu wissen, als das, was sie in ihren Texten von sich zu offenbaren bereit waren.

Um das Gesamt-Projekt „MS Carmen“ noch näher kennenzulernen, baten wir die am „Carmen-Projekt“ beteiligten Studierenden der Fachhochschule Frankfurt um einen Besuch bei uns in der Hochschule, da wir wissen wollten, wie sich ihre Arbeit an dem Opernprojekt und der direkte Kontakt mit den inhaftierten Männern vor Ort darstellt.

Dabei erfuhren wir von überraschenden Parallelen in den jeweiligen Arbeitsprozessen. Wie wird man eine Gruppe? Auch wir erlebten dies als eine der Grundvoraussetzungen in unserer szenischen Arbeit. Die Bereitschaft zu gegenseitigem Respekt und die Achtung vor der Kreativität und Professionalität des jeweils anderen in der Gruppe, sowie die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das gemeinsame Anliegen, waren und sind neue und sehr positive und bereichernde Erfahrungen für alle.

Auch deshalb war dieser Besuch für uns etwas ganz Besonderes und Lohnendes. Das Engagement und die Begeisterung der Fachhochschul- Studierenden für „ihr“ Projekt ermutigte uns, „unser“ Projekt ebenso konsequent weiter zu verfolgen, da wir mehr und mehr spürten, dass wir auf einem richtigen und guten Weg waren.

Das Interesse an unserer Arbeit innerhalb der Musikhochschule wurde immer größer, denn mittlerweile hatte sich unser Vorhaben in der Hochschule herumgesprochen. Studierende aus anderen Fachbereichen, wie Sänger und Instrumentalisten, wünschten ebenfalls teilzunehmen, was uns natürlich sehr freute, und so stießen weitere Studierende zu unserem Projekt hinzu, die mit ihren Talenten und ihrem Können unser Projekt bereicherten.

Da wir immer wieder mit neuen, spannenden und berührenden Texten beliefert wurden, gab es auch genug Material für alle Interessierten.

Die Stimmung der am Projekt Beteiligten ist nach wie vor sehr gut. Keiner hat Scheu, Emotionen zu zeigen, und alle wachsen mehr und mehr zu einer wirklichen Gruppe zusammen.

Dies zu beobachten und Teil eines solchen Prozesses zu sein, erleben alle Teilnehmer als ein großes Geschenk.

Die Authentizität der Texte, der Respekt der Darsteller vor den Autorinnen und Autoren sowie auch voreinander und die gegenseitige kreative Inspiration lässt dieses Projekt weit über andere gängige Projekte hinauswachsen.

„Die Summe Aller ist mehr als der Einzelne“- dieser Satz wird oft gesagt und macht für uns selten soviel Sinn wie bei dieser Arbeit.

Bei der Aufführung am 17.12. 2011 werden alle Arbeits-Ergebnisse vorgestellt und auf DVD aufgezeichnet, die Kompositionen werden zur Weiterleitung übergeben, so dass die Autorinnen und Autoren, die sich „im geschlossenen Vollzug“ befinden, sehen und hören können, was aus ihren Texten entstanden ist.

Wir bedanken uns, dass wir Teil dieses Projektes sein können und freuen uns auf den 17. Dezember und die Aufführung.

Sabine Fischmann und Prof. Till Krabbe und alle Mitwirkenden.

 

September 2011

Carmen – wo bist Du?

Ja, die schöne Carmen ist im Knast!
Nein, es geht hier nicht um schlüpfrige Fantasien von Strafgefangenen, sondern um eine Opernaufführung von und mit „Knackis“.

Aber warum gerade Carmen?

Weil gerade diese Oper viel vom Leben erzählt, von Liebe, Leidenschaft, von verschiedenen Nationalitäten, von Schmugglern und Soldaten, von Tragik, von Heldentum, von Intrigen und Streit.
Hier soll versucht werden im größeren Rahmen eine Theateraufführung nach Bizets Oper „Carmen“ zu realisieren. Geleitet wird dieses Projekt wieder von Maja Wolff und Ulrike Pfeifer, die im letzten Jahr schon großen Erfolg mit ihrer Version von Mozarts Zauberflöte hatten.
Hier geht es auch wieder um Kommunikation mit der Öffentlichkeit und Integration von Strafgefangenen in das „Leben danach“. Studierende der FH Frankfurt, Fachbereich Soziale Arbeit, und Gefangene der JVA IV in Preungesheim üben seit Monaten gemeinsam in den Räumen der JVA, um diese Aufführung zum Jahresende real werden zu lassen. Zu den klassischen Opernelementen werden moderne Musikstile gemischt, mal rockt es, mal rappt es — alles passt harmonisch zusammen. Die Frauenstimmen der Studentinnen, dazu die Männer der FH und die kraftvollen Stimmen der Gefangenen — ja, mit Gänsehaut-Feeling ist zu rechnen.
Ziel dieser doch recht aufwendigen Inszenierung ist es einmal, den Studierenden Einblicke in das Leben hinter Gittern zu ermöglichen, sie durch dieses Projekt pädagogisch mit Theater und Oper zusammenzubringen. Schließlich sind „Kultur und Medien“ die Schwerpunkte ihres Studiums. Den Gefangenen wird eine Plattform geboten, den recht grauen Gefängnisalltag mal zu verlassen und einfach etwas ganz Anderes zu tun und zu lernen. Kultur ist nicht gerade das, was sonst im Strafvollzug an erster Stelle steht.
Zum Anderen wird mit der neuen Produktion ein bundesweit einmaliges Projekt im Strafvollzug umgesetzt — nicht zuletzt durch die große Bereitschaft der Haftanstalt in Preungesheim, ungewöhnliche Wege zu beschreiten.
Aufführungsort wird ein Schiff, ein Schubleichter, am Main sein. Dieses Schiff wird quasi „roh“ von einem Bauunternehmer zur Verfügung gestellt und soll dann von den Gefangenen als Bühne und Veranstaltungsraum umgebaut werden. Allein diese Arbeit — oh ja, harte Arbeit — wird den Männern aus dem offenen Strafvollzug die Möglichkeit der Wiedereingliederung erleichtern: Hier können sie den Erfolg gleich sehen und dadurch neue Kraft und Selbstbewusstsein für die schwierige und hürdenreiche Phase nach der Entlassung schöpfen.
Ja, Carmen verbindet das Drinnen mit dem Draußen — klar dass das Schiff den Namen „MS Carmen“ führt. Außer dieser Opernaufführung sollen auf der MS Carmen noch andere Aktionen stattfinden. Gedacht ist dabei an Vorträge und Lesungen, an Ausstellungen, an Livemusik mit Frankfurter Bands, an Kino, Bar und sogar Disco.
Schließlich wird die MS Carmen mindestens 4 Wochen dort als besonderer Veranstaltungsort „leben“ und genutzt werden.
Zurück zur Headline: Nein, Carmen ist nicht im Knast — der Knast ist in Carmen!

(Dieser Text wurde von einem Strafgefangenen verfasst)

 

Der „rohe“ Schubleichter MS Carmen

Der „rohe“ Schubleichter MS Carmen

 

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